Eigentlich wollte ich als Bürgermeisterkandidat mit Ihnen möglichst oft persönlich ins Gespräch kommen. Das klappte gut bis zum Ausbruch der Corona-Pandemie. Nun erreichen mich Ihre Fragen und Anregungen vor allem per Mail. Hier dokumentiere ich Auszüge aus meiner Korrespondenz und meinen Gesprächen mit Finninger Bürgerinnen und Bürgern zur aktuellen Situation und künftigen Entwicklung unseres Dorfes. Über weitere Fragen an Stefan.Huelmeyer@finntrachinger.de freue ich mich.

Wie stehen Sie zur Ausweisung von Neubaugebieten?

Stefan Hülmeyer:

Dazu erstmal ein paar Statistikdaten:

  • Finning hatte Ende 2008 circa 1.682 Einwohner, Ende 2019 waren es 1.960. Das ist ein Zuwachs von rund 17 % in 11 Jahren.
  • In der Überarbeitung des Flächennutzungsplans vom 31.01.2012 wurden drei Szenarien der Einwohnerentwicklung dargestellt. Gemäß der Bertelsmann-Prognose (konservative Entwicklung) wurde damals von einer Einwohnerzahl von 1.862 für das Jahr 2025 ausgegangen, d.h. wir haben jetzt Ende 2019 schon rd. 100 Einwohner mehr als für 2025 prognostiziert. Selbst die steilste Prognose kam erst für 2025 auf die heute fast schon erreichte Einwohnerzahl von knapp 2.000.
  • Die letzten Jahre wurden die Baugebiete Leitenberg, Kreuzberg I und Kreuzberg II ausgewiesen. Eine Entscheidung, gleich im nördlichen Anschluss daran ein zukünftiges Baugebiet Leitenberg III anzuschließen, wurde Ende 2016 vertagt.

Der Zuzugsdruck wird also weiterhin steigen, zumal es bereits Überlegungen einer Anbindung des Ammersee-Westufers an den Münchner Verkehrsverbund gibt. Bisher konnte Finning darauf mit der Ausweisung weiterer Baugebiete antworten. Drei wichtige Ziele in der kommunalen Baupolitik waren für lange Zeit ja über jeden Zweifel erhaben:

  1. Einnahmen aus der Baulanderschließung für die Gemeinde steigern.
  2. Bauplätzen für Einheimische bereitstellen.
  3. Ausreichende Anzahl insbesondere auch jüngerer Einwohner sichern, um die Infrastruktur (Schule, Kiga, Lebensmittelladen, Bank etc.) aufrecht zu erhalten.

Mittlerweile haben sich die Zeiten geändert. Die o.g. Ziele müssen mit Blick auf die tatsächliche Entwicklung, bisherige Erfahrungen und neue Anforderungen an unsere Ressourcen überprüft werden. Meine Überlegungen zu den bisherigen Zielen im Einzelnen:

  1. Viele Gemeinden – so auch Finning – haben sich in den letzten Jahrzehnten immer wieder über fortlaufenden Verkauf von Baugebieten finanziert. Dies ist zum einen naturgemäß keine nachhaltige Finanzierung, da ja irgendwann einmal die Flächen ausgehen. Außerdem werden oftmals die kurzfristigen Einnahmen nicht den langfristig entstehenden Folgekosten gegenüber gestellt. Beispielsweise muss die Infrastruktur ja auch der steigenden Einwohnerzahl angepasst werden. Zieht man diese Kosten von den Einnahmen wieder ab, bleibt oftmals nichts übrig oder die Gemeinde zahlt sogar drauf. Die Schule muss vergrößert werden, Kindergartenplätze erweitert usw. – bei uns in Finning ist der neu gebaute Kindergarten z.B. schon wieder zu klein. Hierzu stellt beispielsweise das Bayerische Landesamt für Umwelt einen „Folgekostenrechner für Baugebiete“ für Kommunen zur Verfügung. Ich zitiere: „In vielen Fällen zeigt sich bei einer genauen Kalkulation der Kosten, dass es günstiger ist, bereits vorhandene, brachliegende Flächen im Ortsinnern neu zu nutzen, statt neue Baugebiete auszuweisen“.
  2. Dies ist ein Knackpunkt. Natürlich sollen Einheimische die Möglichkeit erhalten, in ihrem Heimatort Grund&Boden&Haus zu erwerben. Von den rund 16 Bauplätzen im aktuellen neuen Baugebiet Kreuzberg II sind allein sechs Familien gut befreundet mit mir. Sie wohnen alle seit (z.T. deutlich) über zehn Jahren zur Miete in Finning und ich freue mich für sie alle, dass es mit dem eigenen Neubau-Haus geklappt hat. Die frei werdenden Mietwohnungen werden vermutlich wieder schnell an Zuziehende vermietet, die dann in zehn Jahren wieder Einheimische sind.
  3. Dass durch eine Mindesteinwohnerzahl die o.g. Infrastruktur gewährleistet werden muss ist klar. Aber das Problem Wegzug hat Finning schlicht nicht und wird es aufgrund seiner Lage in absehbarer Zeit auch nicht haben.

Ich selbst bin Zugezogener (vor 14 Jahren) und hatte das Glück, ein ehemaliges Bauernhaus zu finden, das ich Zug um Zug renoviert habe. Natürlich ist das nicht jedermanns und jederfraus Sache. Vielen wollen eben von Grund auf einen modernen Neubau. Und ich kann und will hier selbstverständlich keine Vorschriften machen. Über Geschmack lässt sich streiten. Es sollte jedoch das Größenverhältnis zwischen gewachsenem Ortskern und allseits umgebenden Neubaugebieten in einem verträglichen Rahmen bleiben. Generell müssen Anreize geschaffen werden, zunächst Leerstände innerorts zu sanieren oder ggfs. auch ortsbild-typisch neu zu bauen. Auch hierzu gibt es eine Reihe von Beispielgemeinden.

Mein Fazit:

  • Eine Ausweisung von Baugebieten mit dem Ziel, Einnahmen für die Gemeinde zu erzeugen, ist nicht nachhaltig und sehr kurzfristig gedacht; unter Umständen ist das bei ganzheitlicher Berechnung sogar ein Minusgeschäft. Hier sind andere Einnahmequellen zu finden.
  • Wir benötigen keinen Einwohnerzuwachs zur Aufrechterhaltung der Infrastruktur.
  • Die Ausweisung weiterer Neubaugebiete sollte nach dem schnellen Wachstum der letzten Jahre deutlich eingeschränkt und dabei weitestgehend (sowie rechtlich möglich) sog. Einheimischenmodellen zugeführt werden.
  • Mehr Wohnraum bedeutet nicht automatisch mehr Neubaugebiete. Mein Grundsatz: Innenentwicklung muss vor Außenentwicklung gehen.
Brauchen wir neue Gewerbegebiete?

Stefan Hülmeyer:

Die Erweiterung von Gewerbegebieten und der Bedarf an Baugebieten kann zusammenhängen, falls sich neues Betriebe mit auswärtigen Mitarbeitenden ansiedelt, die dann im Ort eine Wohnung suchen oder bauen wollen. Meine erste Frage dabei ist: Was haben wir davon? Große Flächen verbrauchendes Gewerbe mit wenigen Mitarbeitenden und möglicherweise einem Firmenhauptsitz an einem anderen Standort (wie es z.B. beim Netto gewesen wäre) bringt der Gemeinde geringe Einnahmen bei hohem Flächenverlust. Das Optimum ist meines Erachtens  eine gute Mischung aus größeren Firmen (die wir ja schon haben) und lokalem klein- bis mittelständischen Gewerbe, bei dem die Wertschöpfung am Ort bleibt. Dies hat auch noch den weiteren Vorteil, dass die Gewerbetreibenden am Ort wohnen und arbeiten, also nicht pendeln müssen. Und es trägt ganz nebenbei auch noch zur sozialen und kulturellen Vitalisierung des Orts bei, da diese Einwohner sich mit dem Ort mehr identifizieren und ihn nicht nur als Schlafort nutzen. Kurzum: Maßvolle Erweiterung des Gewerbegebiets und Vorrang von bereits ortsansässigen Unternehmen!

 

Was wollen Sie tun, damit Finning seinen liebenswerten dörflichen Charakter erhalten kann?

Stefan Hülmeyer:

Für den Charakter unseres Dorfs sind das Dorfbild und die Dorfkultur entscheidend. Das Dorfbild wird vor allem durch unsere Baupolitik geprägt. Dazu habe ich ja schon viel gesagt. Ergänzen möchte ich noch, dass wir durch die gezielte Förderung von kleinen und mittleren Wohnungen im Dorfinneren aber auch durch neue Wohnformen wie z.B. Mehrgenerationenhäuser spannende Impulse setzen können. Denn dann haben z.B. Eigentümer großer Häuser endlich die Möglichkeit, in eine auf ihre neue Lebenssituation etwa nach dem Auszug der Kinder passende Immobilie zu wechseln. Junge Familien könnten im Gegenzug in für sie passende Häuser ziehen – ohne große Neubaugebiete und mit vielen positiven Effekten für das Zusammenleben im Ort. Für die Belebung der Dorfkultur fehlen uns derzeit vor allem geeignete Räumlichkeiten. Als leidenschaftlicher Musiker mit eigener Band weiß ich sehr genau, wovon ich spreche. Deshalb setze ich mich auch sehr für eine weitere Dorfwirtschaft ein, die auch als Begegnungsstätte und für Veranstaltungen geeignet ist.

 

Ist Ihnen der Umweltschutz wichtiger oder die wirtschaftliche Entwicklung von Finning?

Stefan Hülmeyer:

Warum soll das ein Gegensatz sein? Meine Grundhaltung: eine gute Entwicklung auch für unser Dorf kann nur im Einklang mit dem Schutz der natürlichen Umwelt erfolgen. Bei vielen Projekten hilft oft schon ein weiteres Nachdenken, um nachhaltige, umweltverträgliche und damit gute Lösungen zu finden. Natürliche Lebensräume zu zerstören oder Flächen leichtfertig zu versiegeln, nur weil’s schnell gehen soll – das ist sicher nicht mein Ansatz für eine zukunftsorientierte Entwicklung von Finning. Es geht ja auch anders. Dazu ein Beispiel aus dem Bereich der Energiewirtschaft. Der Gemeinde Fuchstal ist etwas ganz Erstaunliches gelungen: Sie ist selbst unter die Energieerzeuger gegangen, produziert mit regenerativen Methoden – also Wind, Sonne und Biomasse – selbst Strom und macht damit sogar noch Gewinn!

 

Warum habt ihr die Finntrachinger gegründet? Waren euch die bestehenden Listen nicht gut genug?

Stefan Hülmeyer:

Die Finntrachinger sind aus unserer Bürgerinitiative gegen die Ansiedlung einer Netto-Filiale hervorgegangen. Als wir die Sinnhaftigkeit dieser Planung gemeinsam diskutiert und dann unseren Widerstand organisiert haben, stießen wir auf viele weitere Themen. Umweltschutz, Dorfbild, Kommunikation, Transparenz, soziale Fragen – das sind nur einige Themenfelder, zu denen sich engagierte Bürger*innen mit teilweise schon konkreten Ansätzen zu Wort gemeldet hatten. Wir wollten nicht nur rummeckern, sondern positive Lösungen anbieten. Die drei etablierten Listen verstehen sich als orteilbezogene Gruppen zur Auffindung geeigneter Kandidaten und – in Einzelfällen – auch Kandidatinnen für den Gemeinderat. Daran gibt es überhaupt nichts auszusetzen. Wir aber kommen von einem themenbezogenen Ansatz und wollten bewusst über die Orteilgrenzen hinaus ein Angebot machen. Deshalb haben wir eine eigene Liste gegründet. Die Finntrachinger haben zum Beispiel beim Umweltschutz ähnliche Ansichten, sind aber keine Partei sondern nach wie vor eine Wahlvorschlagsliste. Es gibt auch keine formalen „Mitglieder“, kein detailliertes Programm, keine verpflichtende „Gruppenmeinung“. Dafür aber ein ziemlich breites Meinungsspektrum, was allein schon Diskussionsfreudigkeit und Offenheit gegenüber den anderen Wahlvorschlagslisten garantiert. Genau so soll es auch sein in einer Gemeinde!

 

Was tun Sie gegen den wachsenden Verkehr und die vielen Geschwindigkeitsüberschreitungen auf den Hauptstraßen?

Stefan Hülmeyer:

Davon kann ich aus eigener Erfahrung ein Lied singen: Ich selbst wohne in der Hauptstraße, Ortsausfahrt nach Hofstetten. Direkt vor unserem Haus steht eine große „30“ auf dem Boden. Diese „30“ ist das einzige aber leider wenig wirksame Ergebnis wiederholter und langjähriger  Anfragen an die Gemeinde (schon seit der vorletzten Legislaturperiode) bezüglich eines durchdachten Verkehrskonzeptes. Bei diesem Thema werde ich sicher nicht aufgeben. Wir brauchen sehr bald ein kluges Konzept zur Verkehrsberuhigung, bevor es zu spät ist und Menschen Schaden nehmen. Als Sofortmaßnahme bin ich auch für regelmäßige Radarüberwachung. Mittelfristig müssen wir aber das Übel an der Wurzel packen und die Verkehrsströme genauer analysieren, Alternativen zum Auto anbieten und durch die Gestaltung der Hauptstraßen zur Verlangsamung einladen.

 

Das Busangebot zum Bahnhof Geltendorf ist nicht nur für Pendler unter aller Kritik: Habt ihr das auf dem Schirm?

Stefan Hülmeyer:

Der gesamte ÖPNV ist dringend verbesserungsbedürftig! Vor wenigen Wochen hätte die Gemeinde eine Chance gehabt, um konkrete Verbesserungen vorzuschlagen. Leider wurde eine Umfrage vom Landratsamt Landsberg dazu erst wenige Tage vor Abgabeschluss vom Bürgermeister dem Gemeinderat vorgelegt. Vor allem morgens haben Pendler*innen nur einen direkten Bus zum Bahnhof Geltendorf, und der fährt bereits um 6:16 ab Entraching. Wenn jemand nicht schon um halb 8 an seinem Schreibtisch zum Beispiel in München sitzen muss, keine Lust auf eine 40minütige Bustour über die Dörfer hat oder kein passionierter Allwetterradler ist, bleibt nur noch das Auto für den Weg zum Bahnhof. Und das ÖPNV-Angebot für den Rückweg ist fast genauso spärlich. Sogenannte Anruf-Sammel-Taxis wie es sie z.B. nach Windach gibt, könnten durchaus einen Versuch wert sein. Warum sich Finning nicht an dieses Angebot angeschlossen hat, weiß ich leider nicht. Das wichtige Thema ÖPNV habe ich natürlich auf dem Schirm.

 

Bildnachweis:

  • © Matthias Francke
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  • © Stefan Hülmeyer
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